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Refrain

Autoren: Hermann Obermüller
Linz, 2002
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Literaturnetz

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Textproben:

Refrain Als der letzte Ton der Fabriksirene verklungen war und er sich Staub und Ruß von der Arbeitskleidung geklopft hatte, ging er wie jeden Werktag um diese Zeit durch den schmalen Eingang mit der Stechuhr hinaus. Hinter ihm löste sich der vierzehntausendsechshundertste Tag seines Lebens im Qualm der Industrieschlote auf. Die abgeschabte Tasche mit dem jetzt leeren Jausenpapier schlenkerte an der schlaff herunterhängenden Hand gegen sein Knie, als er dort, wo er, wie fast jeden Tag, am Morgen heruntergekommen war, hinauftrabte. Um diese Jahreszeit waren die Lampen bereits angeschaltet und gliederten so die Straße in eine unendlich scheinende Reihe ineinandermündender Lichthöfe. Er konnte sehen, daß die Abfallkörbe an diesem oder jenem Lampengestänge übergequollen waren und auch, wie in einem davon der Arm eines Mannes wühlte. Weiter vorne baumelten die Beinchen eines kleinen aber eleganten Herrn von einer Balustrade, den das über seinen Knien aufgeschlagene Buch jeden Moment in die Tiefe zu ziehen schien. Andererseits waren die Bäume zwischen den Häusern und beiderseits der Kreuzungen von rußfarbenem Schorf zerfressen, ihre Äste langten blattlos nach den Dächern, an einem Stamm klebte ein schwarzes Plakat mit weißer Schrift: DAS UNVERZEIHLICHE VERZEIHEN! Er überquerte die Straße, querte den Gehsteig und schloff durch eine Lücke in der hohen, schwarzgestrichenen Umzäunung. Der Park war von wenigen Lichtquellen hinter Sträuchern erhellt. Der Schotter knirschte unter seinen Schuhen, die weißen Kiesel glänzten tückisch aus dem Halbdunkel, er ging auf die Weggabelung zu, die, wie er wußte, den kleinen Teich umschloß. Hinter einer Hecke hervor drang in kurzen Abständen verhaltenes Stöhnen. Er umrundete das Becken und blickte über das Wasser hinweg auf die sich zu Fäden ausziehenden Lichtpunkte jenseits der Zaunstäbe. Im Gehen nimmt er eine Hand und umschließt , während die Geräusche hinter der Hecke andauern, damit das Gelenk der anderen. Er drückt die Finger in den Widerstand hinein, bis die Geräusche für ihn ausbleiben. Er nimmt beide Hände und faltet sie hinter seinem Rücken. Er löst sie und preßt sie an seine Ohren. Ganz zwängt er sich in seine Hände. Sie zu den Seiten fallen lassend hastet er dem Ausgang zu.

/ 2002

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