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Veitels Traum

Roman

Autoren: Andreas Weber
Verlag: Picus Verlag, Wien, 2010
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

II – Morgenstunde

Mein Vater wollte keinen Fernseher.
Seiner Meinung nach machte die „Television“ Familienleben unmöglich, jeder vernünftig denkende Mensch mußte sich der Frage stellen: Familie oder Fernseher. Joachim Veitel hatte vor meiner Geburt im Jahr 1961 entschieden. Meiner Mutter war der häusliche Frieden wichtiger als diese damals noch eher spezielle Form der Unterhaltungselektronik. Ich selbst begriff früh, daß mein Vater mitunter recht mühsam sein konnte.
Und er war mir immer irgendwie fremd.
Nie wäre mir eingefallen, ihn mit seinem Vornamen Joachim anzureden. Ich mußte in den Jahren nach seinem Tod alle möglichen teilweise recht überspannten Figuren ausfragen, um meinen Vater kennenzulernen. Er sprach nicht über seine Gefühle und was er dachte war mir nicht geheuer. Obwohl ich sitzen blieb, wenn er seine Vorträge über das Wesen der Literatur als „Vergleichsmechanik“ hielt und über den „langweiligen Verweischarakter“ erzählender Texte klagte, hatte ich keine Ahnung von Lyrik, Prosa und Dramatik. Vater wollte „wahrhaftig“ schreiben, nichts durfte erfunden wirken, sondern mußte „welthaltig“ sein. Mutter sagte, daß sie seine Sorgen haben möchte und ging an ihre Hausarbeit, mein Bruder Horst stand auf und floh in sein Zimmer, wenn er loslegte. Nur ich saß da und hörte zu. Irgend etwas ließ mich sitzenbleiben.
Dabei hielt ich ihn irgendwie für einen Versager.
Die Väter meiner Freunde waren Journalisten, Techniker, in der Werbung und Unternehmer, einer war fast ein General, was mich in der Unterstufe beeindruckte. Meiner war Beamter, ein „kleiner Dorfgendarm“, wie er oft über sich sagte, mit dieser Mischung aus Bitterkeit und etwas, das ich Selbstironie nennen würde. Wie ich der Schriftsteller wurde, der er gerne gewesen wäre, ist mein Thema, meinem Vater ein Denkmal zu setzen, mein Thema. Ich werde von einer Welt ohne Mobiltelephone und Internet erzählen. Auf dem Land gab es die Gendarmerie in mausgrauem Dienst-kleid, in den Städten die grüne Polizei. Das Fernsehen hörte kurz nach Mitternacht auf und die Menschen zahlten mit Schillingen. Vaters Ende als allwissender Erzähler zu beschreiben, sehe ich als den Beginn unserer Beziehung, die zu seinen Lebzeiten nicht möglich gewesen ist.

/ 2010

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