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Ob er müde sei

Autoren: Gertrud Sberlo
Verlag: Resistenz Verlag, Linz, Wien, 1999
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

La gondola

Ob er müde sei, fragte sie ihn. Ihre Hand suchte seinen Nacken, fand einen wohlklingenden Brummton auf seinen Lippen und suchte und fand weiter. Sie würde auch weiterfahren, meinte sie. Nein, gähnlächelte er sanft in den Rückspiegel, es ist ja nicht mehr lang! Fritz war zweiundzwanzig und endlich ein vollwertiges Mitglied. Der Gesellschaft. Arbeit macht frei. Er hatte einen Job!! Seit ein paar Monaten. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit. Gleich nach der Lehre keine leere Stelle. Und jetzt endlich! Als erstes hatte es der Hausmeister bemerkt. Fritz schlenkerte plötzlich nicht mehr in Jeans und Glatze daher, sondern holte weitaus in Bügelfalte und Sakko. Seitdem grüßte ihn der Hausmeister. Meist lallend hinter einem Kellerabteil hervor. Arbeit im Gemeindebau ist nur im Sechstertragerl zu ertragerln. Dann bemerkte es seine Mutter. Bua, host an Klescha?! Fritz nahm eines Besuchssonntags auf einmal nicht mehr in der Speisekammer Platz, sondern im Wohnzimmer und mit ihm acht schwergefüllte Billasackerl. Do!, Mama! Fia di!! Ein Renkn Speck fiel dabei zu Boden. Den konnte sie aber sowieso nicht mehr zerbeißn. Und dann bemerkten es die Nachbarn. Sie stolperten im Stiegenhaus immer seltener über verabschiedete Zigarettenkippen. Die alte Clique blieb aus und eine neue rauchte sich noch nicht herein. He Oida!, mit dir is nix mehr! War er früher aus seiner Einzimmerabsteige locker ungewaschen herausgestiefelt, so ledersohlte er jetzt parfümiert durch die Stadt. Hatte er früher parkenden Autos die Luft genommen, alten Muatterln heimlich beim Tragen ihrer Geldbörserln geholfen oder Hausmauern bunt mit Farbsprays verziert, so knetete Fritz sich jetzt langsam ein in die Masse der anderen. Wenn aus Asozialem Zuckerguß wird. Zuletzt auch bemerkten es die Mädls. Wenn er in seinem neuen Mazda vor den Discos einqietschte. Geleastet Leben. Vollkasko. Mir kann nix mehr passiern. Schatzerl, steig ei! Fritz war gut drauf, Fritz war auf der Überholspur. Und dann kam, was kommen mußte! Die erste Urlaubsreise. Venezia! La gondola! Amore! Sein Nacken war steif. Seine Augen schwer. Er fuhr nun schon seit sieben Stunden durch. Sie war mittlerweile auf dem Rücksitz eingeschlafen. Ob er sie nicht doch jetzt wecken sollte? Und Platz tauschen? Er betrachtete sie verzückt im Rückspiegel, ihre Beine waren angewinkelt, ihre Oberschenkel breit geöffnet, sodaß er einen Ausblick hatte wie bei Fön auf einem Berg. Tief hinein in jedes Tal ihres Geschlechts. Bella vita! Fritz wurde wieder munter. Vor allem untenherum. Akkordarbeiter war er. Auf einem Schlachthof. Säue abstechen. Hunderte am Tag. Gezielt in die Halsschlagader. Aufs Zielen kam es an, nicht auf Kraft. Das Blut sprang dann wie ein Pfropfen aus der Haut und rann in einem einzigen Guß zu Boden und nicht wie eine Fontäne. Er spritzte sich kaum an dabei. Er war gut. Ob er müde sei, fragte es her von der Rücksitzbank. Dort lag eine ausgeblutete Sau. Die letzte, die er abgestochen hatte.

Jesus aus Purkersdorf

Ein Kirchturm schaut heraus, aus der Mitte eines kleinen Sees, die Spitze eines Kirchturms, ganz unvermutet, mitten in einer freien Landschaft die Hälfte eines Kirchturms, steil aufragend in den schon wieder einmal bewölkten Urlauberhimmel, das ganze Jahr sonst ist das Wetter ja so heiter, daß man vor lauter Lachen kaum zum Arbeiten kommt, und gerade und immer dann, wenn man frei hat, regnet, schneit oder windet es sich derart ein, daß man vor lauter Natur nicht mehr in die Natur will, das obere Drittel eines Kirchturms wie ein genmanipuliertes Schilfrohr des Vatikans aus dem Wasser sich herausreckend, als Tourist sieht man ihn zuerst gar nicht, obwohl man ihn die ganze Zeit über sieht, aber man hat seine Augen so eingeschossen auf die Sehenswürdigkeiten hinter und vor der Budl von Gaststätten, daß einem so ein Kirchturm nur dann auffällt, wenn er zur Westminster Abbey gehört oder zur Golden Gate Bridge, ach, nein, die hat ja keinen. Reindl vergaß, als ihm der unterteilamputierte Kirchturm dann doch ins Auge schoß, für einen Moment mit seinem Magen zu knurren und bremste seinen Osterurlaub auf dem nächsten Parkplatz ab. Welcher schwimmbegeisterte Padre hatte hier Gott versucht? Jesus ist über das Meer gegangen, bei Kirchen klappt das nicht immer, das hätte der Padre wissen sollen. Reindl schob seine um den Hals gewickelte immer bereite Minolta vor seine touristisch geilen Abschußaugen und nahm die badende Kirchturmspitze für immer mit nach Hause. Für die ResiTant. Das wäre doch einmal ein ganz anderer Messebesuch! Obwohl die Tante eher weniger fürs Ungewöhnliche war. Als vor einigen Jahren der Pfarrer eines Sonntags am Ende der Messe anstatt des Segens die neuesten Fußballergebnisse verkündet hatte und das auch noch nach fünf Monaten so gehalten hatte, hatte sie sich bitterböse an Rom gewandt, auf die Antwort wartet sie heute noch, der jetzige Heilige Stuhl, so spricht man, sei dem Fußball nicht so ganz abgeneigt, neben dem Stuhlgang in ferne Länder und dem nach gutem Essen. Zündschlüssel rechts rum, Lenkrad links rum, Reindl wandte sich wieder seiner Touristenspielwiese zu, der Schnellstraße über den Reschenpaß, ließ den Reschensee links, genauer gesagt: rechts, liegen und nahm seine Pizzafährte erneut auf. Ostersonntagmorgen. Trattorias!, ristorantes!, Spaghettitempel!, nagelt eure Tischtücher fest!, Germania kommt über die Alpen! Späte Rache für Cäsars Rubikonüberquerung. Vergangenheitsbewältigung im Gastrolook. Soßig muß er sein, süffig und vor allen Dingen schnell, der Osterurlaub, wer nur ein paar Tage ausspannen kann, hat eine Stoppuhr im Hirn und Tag- und Nachtschicht im Verdauungstrakt. KonsumElfmeter. Manch deutscher Darm allerdings ist länger und schaut seinem Träger schon beim Mund heraus. Mehr italienische Wörter als pizza, vino und Beck's Bier fällt ihnen deshalb nicht von den Lippen. Die cultura der Italiener verwandelt der Norden in erster Linie in Kot. Renaissance. Wiederkehr. Und das sehr rasch. Eine sogenannt hohe Durchfallquote. Reindl war so gastritisch nicht, nur halb, Reindl war Österreicher und als solcher beim Essen weniger kunstbewußt, er fraß aus an Reindl aa!, nur vü muß sei, wauns nur obihängan, de Nudln, üban Tisch, daun schmeckns scho, so heikel war er net, er wor gaunz sicha net haglich, nur laung muaß bei eam sei, des Essn, lang. In der Länge liegt die Würze, in der Kürze liegt der Beschiß, das wußte er aus den eigenen einheimischen Wirtshäusern, er aß viel lieber bei Muattan, abwechselnd Schweinsbraten mit Semmiknödln, Schweinsbraten mit Grammiknödln, Schweinsbraten mit Kartoffiknödln, Schweinsbraten ohne Knödln, wenns ihr wieda amoi zfalln san, auswärts aß er nie, er sprach kein Französisch, denn beim Wirtn sprach man die Hauptspeise wie Dessert aus, mit nur einem S, wie die Wüste und der Teller war leer wie eine solche. Österreich ist sehr desert-interessiert an seinen Gästen. Wos?, a Wossa fürn Hund wüßt aa?! Derfs a bissl mehr sei - daun bei da Rechnung?? Etwas Schnee lag zu beiden Seiten der Straße, die graubraune Variante des Frühlings, der Gatsch der letzten kalten Tage, auf Elba würde es bereits angenehm warm sein, und billig, vor allem billig, Vorvorsaison, jedenfalls, wenn man nicht vorhatte zu bezahlen. Reindl stieg aufs Gaspedal und hechtete der Sonne zu. Allerdings mehr in seiner Phantasie. Denn sein Mitsubishi, günstig einem Freund gerade abgeluchst, zehn Jahre alt, dennoch fast neu, praktisch noch gar nicht produziert, oder doch wenigstens sehr garagengepflegt, obwohl er immer gedacht hatte, sein Freund hätte gar keine Garage, tat keinen Kolbenstoß mehr nach vorn, nicht nach hinten und hinauf/hinunter schon gar nicht, die selber frisch lackierte Karosse, asphaltrot, Asphalt ist eher blutig als andersfarbig, besonders unterm Urlauberverkehr, war partout, ja, soviel Französisch konnte er doch!, vom Parkplatz nicht mehr wegzubewegen, shit!, ja, soviel Französisch konnte er auch. Batterie?, Benzinpumpe?, Einspritzdüse?, Reindl war kein Automechaniker und stieg aus, um die Motorhaube zu öffnen und an ihm unbekannten Kabeln herumzuzerren, vielleicht lags ja bloß an der Elektrik, Scheiße!, Reindl war ein Sprachengenie, auch die Umgangssprache beherrschte er, sogar fließend, nein, an der Elektrik konnte es nicht liegen, da war Benzin genug drinnen!, er stopfte das lange, verschmierte Trum, das ihm dabei in die Hände gespießt war, in seine Öffnung zurück, es zischte laut, hoffentlich hatte er jetzt nicht den Reservereifen erwischt, oder war das das luftlose Dings hint' im Kofferraum?, so ein Auto hat seine Lücken, nein, Tücken, nur mit der Hochsprache tat er sich etwas schwer, waßt eh, es is no ka Kleister vom Pimmel gefallen. Der See hatte sich noch keinen Meter von ihm wegbewegt, die Genmanipulation des Papstes gleichfalls nicht, Reindl bauchte sich wieder hin an sein vorheriges Ausblicksplatzerl, leer wie zuvor, nur ein Mistkübel lockerte die kahle Gegend etwas auf, allerdings auch leer, dafür lagen daneben einige Hauferl, Mülltrennung auf urlauberisch: den Müll vom Müllbehälter trennen, Papiersackerl mit Essensresten, sogenannte Urlaubertrümmerl, und bestellte sich dort zwischen den Schimmelbergen, hinein in deren milden Schatten, einen Topf Spaghetti, einen Riesenkübl, avanti!, avanti!, io from Vienna, io hungrig ollewäu, der italienische Kellner verstand nicht sogleich, als sich aber dann herausstellte, daß dieses Gebiet ja eigentlich nach wie vor den Österreichern gehört und nicht den Katzlmachern, weggnumma haum sie's uns, de Fallottn!, Gott erhalte unsern Kaiser und das Südtirol!, bestellte er auf Deutsch, etwas Kaubareres, Schweinsbraten mit Grammiknödln, oba bittsche mit vü Soft!, und ois Dessert SchokoladepalatSchinkn, Schinken war auch etwas, was er gerne aß, sogar den italienischen: die Mortadella. Im Moment jedoch war Reindl so hungrig, daß er sogar seine Phantasie gegessen hätte. Seit Karfreitag war er auf der Flucht und seitdem hatte er seiner inneren Gastronomie nichts zugeführt, ausgebrochen war er aus einem Gefängnis, während der Schweigeminute für den Jesus, a klassa Haberer, keine Sirene hatte geheult, und kanna hot eam verratn, aa de gaunzn Jahre draußn net, als er in der Welt herumreiste, von einem Land ins andere, als Scheckbetrüger, auf der Suche nach Absatzmärkten, immer wieder neue mußten gefunden werden, die Konkurrenz war groß, erst am Schluß hot eam ana aufblattlt, a schizophrener Psychopath, ja, etwas Polnisch konnte, ja, wir wissen schon. Neun Jahre hatte er bekommen, als er achtzehn gewesen war, vier davon hatte er bereits zurückgegeben. 1949 hatte man den Reschensee aufgestaut und dabei große Teile der Orte Reschen und Graun überflutet. Die Bewohner waren vorher umgesiedelt worden, ein störrischer Alter aber war aus seiner morschen Hütte nicht wegzukriegen gewesen, verdammter Sturschedl, elendiga!, der Bürgermeister war in Handlungsnotstand geraten, jeder Tag kostete Geld!, und hatte dann trotz des Alten mit der Überflutung beginnen lassen, der Alte sitzt heute noch vor seinem Haus, erzählen sich die Einwohner, und an stillen Sonnentagen läuten ganz leis die Glocken der überschwemmten Kirche von Graun, die einfach zu hoch gewesen war, um ganz unterzugehen. Reindl war sattgegessen, tätschelte wohlgesonnen im Kreisrund sein Innenleben, rülpste und furzte der Rechnung eines und schwang sich dann abrupt, ja, Portugiesisch, ja, wir wissen schon, über die Steinmauer, die den Stausee bezwang, mit einem Ruck hinein ins glatte Wasser, man würde ihn hier knapp nach der Grenze ohne Geld und Auto bald wiederfinden. Es brauchte nicht lange, bis er den Sturschedl fand, setzte sich zu ihm auf die Bank vor seinem Haus und erfuhr dann, daß es noch einen zweiten mit einem derartigen Schedl gegeben hatte, der allerdings hatte es nicht lange ausgehalten und sich in seinem Haus erhängt, es sei nichts mehr übrig von ihm, die Fische ...

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