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In die Transitzone

Autoren: Elena Messner
Verlag: Edition Atelier, Wien, 2016
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Daniel zählte die Laster, die im Halbschatten des Spätnachmittags warteten, sechs waren es, er erkannte zwei, in denen er bereits gesessen war, und dachte an den Fahrtwind in Annies Gesicht, als sie ihn am Vortag in ihrem LKW zum Hof mitgenommen hatte. Jetzt stand sie vor ihrem Wagen, wieder einmal schwitzte sie, und das Haar klebte ihr an Stirn und Rücken. Neben sich hatte sie einen kleinen braunen Koffer abgestellt. Ihre Vorfreude war kaum zu übersehen, sie winkte herüber zu ihm und zu Bakary, der ein paar Kisten mit Obst und Gemüse in seinen LKW räumte.
Es wurden immer mehr solcher Kisten herangeschafft, um alle Laster damit zu befüllen. Gesprochen wurde kaum. Unter den Schleppern entdeckte er Hakim, der geradewegs zu Annies Laderaum ging und einiges darin zur Seite schob. Beim Vorbeugen griff er sich an den Kopf, er hatte, das war zu sehen, Schmerzen. Zwei Frauen sprangen an ihm vorbei aus dem LKW und fragten nach einer Drahtschere, danach stellten sie sich an die Plane des Wagens und schnitten Löcher hinein. Bakary hatte das Problem anders gelöst und bei seinem LKW die Plane einfach abmontiert. Auf der Ladefläche seines Wagens saßen ebenfalls schon ein paar Familien und warteten. Zwei Frauen wechselten ihre Schuhe.
Aus allen Richtungen kamen weiterhin Menschen mit Rucksäcken und Taschen herbeigelaufen, es überraschte
Daniel, dass so viele in so kurzer Zeit zum großen Parkplatz neben der Autobahnauffahrt herbeiströmten, als wären sie schon lange für die Abreise vorbereitet gewesen.
Man tauschte nur das Nötigste an Anweisungen und Informationen aus, ein wenig zerstreut. Ausschließlich praktische Dinge wurden beredet: »Benzin haben wir nicht viel beschaffen können.« – »Das Wetter wird schön bleiben.« – »Ihr braucht mehr Wasser.« – »Zehn Stunden Fahrzeit.« Jemand versteckte Mobiltelefone in jedem Fahrzeug, »Bloß nicht vor dem Grenzübertritt einschalten!«, Listen mit Telefonnummern wurden herumgereicht, Kontakte von Freunden oder Bekannten, die man anrufen konnte. Man tauschte Ratschläge aus, lief zwischen den Camions umher, wägte ab und überlegte gemeinsam. Annie wollte zum Beispiel über die Ostgrenze fahren, landeinwärts, Bakary lieber über die Südgrenze und an der Küste entlang, er kannte in der Nachbarstadt Sympathisanten, die seiner Gruppe weiterhelfen würden. Die anderen LKWs sollten andere Routen aus der Stadt nehmen, zwei über die Autobahn, einer durch den Tunnel, dann weiter über die Landstraße; sollte es mittlerweile verstärkten Grenzschutz vor Makrique geben, könnten sie so voneinander ablenken.

Aus: "In die Transitzone" / 2016

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