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In der Leere das Sitzen

in der Drift der Tage

Kurzprosa

Autoren: Richard Wall
Verlag: Löcker Verlag, Wien, 2014
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

DAFÜR BIN ICH MIR ZU SCHADE

Direktübertragung des Opernballs durch den ORF. Eine attraktive Journalistin interviewt Prominenz, so auch einen berühmten österreichischen Aktionisten. Er steckt, wie alle männlichen Wesen, in einem Smoking, hat das graumelierte, spärlich-kurze Haupt- und das lange, bis auf die Brust wallende Barthaar sorgfältig frisiert und eine im Verhältnis zu seiner Masse winzige Brille mit kleinen, ovalen Gläsern auf der Nase.
Die Sätze gehen hin und her wie Pingpong-Bälle, der Meister holt weit aus beim Beantworten  der einfachsten Fragen, die es bekanntlich in sich haben: Er sei nur deswegen hier, weil er dies dem Ian Holländer versprochen habe, viel lieber wäre er draußen bei den Demonstranten.
Als die Kamera bei einer seiner weiteren aufschlussreichen Antworten, deren bedeutungsschwangerer sprachlicher Stil im Missverhältnis steht zur Banalität des Inhalts, in die unmittelbare Umgebung und auf das Parkett der Tanzenden abschwenkt, unterbricht der Meister konsterniert, ja entrüstet seine Ausführungen und ruft: „Wo ist die Kamera! Ohne Kamera sag ich nichts mehr, dafür bin ich mir zu schade!“
Worauf die ORF-Journalistin hastig das Kameraauge respektive den Kameramann zur Räson ruft – und beide, der prominente Aktionist und die nicht minder bekannte ORF-Moderatorin, noch einige Sätze lang das belanglos-glatte Gespräch über den Opernball, vom ORF mit Bild und Ton in die Fernsehzimmer der Österreicher geschleust, fortsetzen.

(2000)

Richard Wall (2014), In der Leere das Sitzen / in der Drift der Tage / 2014

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