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Der Scheidungsgrund

Autoren: Inge Gugler
Linz, 2003
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Literaturnetz

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Textproben:

Mein Mann und ich werden unter gar keinen Umständen und nie wieder in unserem Leben etwas Größeres als ein Legoauto in Selbstbauweise zusammenstellen. Im Sommer vor einigen Jahren hatte ich die Idee, neben unserem Haus in Altmünster ein Gewächshaus hinzustellen. Erstens wollte ich einen Winterplatz für die Balkon- und Topfpflanzen haben (bisher hatten wir sie immer in der Garage untergebracht, was zur Folge hatte, daß das Auto nicht mehr hineinpaßte), und zweitens sah ich mich schon ganzjährig im gehobenen englischen Landhausstil mit Strohhut, blauer Gartenschürze und Bestäubungspinsel werken. Mein Mann war einverstanden, hauptsächlich weil er die Garage nicht ständig als Aufbahrungshalle umfunktioniert haben wollte, und fuhr mit mir zu den Baumärkten, die solche Gewächshäuser ausgestellt haben. Wir entschieden uns für eines im Ausmaß von dreimal vier Metern Grundfläche, das ganz raffiniert ausgestattet war. Die Dachfenster öffneten sich angeblich automatisch bei Sonnenschein und schlossen sich bei Regen, eine Umluftheizung sorgte für gleichmäßige Wärme im Winter, die durchsichtigen Flächen waren aus speziellem Kunststoff und würden jedem Hagel im Salzkammergut standhalten. Preislich entsprach es unserer Sparsamkeit. Es hatte nur zwei Nachteile: Es hatte einen alufarbenen Rahmen und würde unserer Meinung nach in der Landschaft schreien, und man mußte es außerdem selbst zusammenbauen. Den ersten Mangel behoben wir, indem wir die eintausendsechshundertvierundachtzig alufarbenen Rahmenteile passend zu unserer Haustür und unseren Fensterrahmen und passend zum ganzen Salzkammergut grün beschichten ließen. Den zweiten Mangel konnten wir nicht beheben, aber wir waren guter Dinge, daß wir als geübte Heimwerker das Kind schon schaukeln würden. Mein Mann hatte die Bodenfläche schon betoniert, und am nächsten Wochenende mit guter Wettervorhersage machten wir uns an die Arbeit. Wie immer sollte die bewährte Arbeitsteilung zum Zug kommen: Mein Mann würde der Praktiker sein und ich die Schriftgelehrte. Ich nahm also die Beschreibung aus einem der vielen Pakete, sie war etwa so umfangreich wie Stifters Hochwald, nur schwerer verständlich, wie ich schon den ersten Seiten entnehmen konnte. Gut, daß sie auch bebildert war, wir würden uns schon zurechtfinden. Nachdem wir uns noch eine gute Stunde durch allerlei Aktivitäten vor dem Beginn gedrückt hatten, gingen wir es doch einmal an. Ich las aus der Beschreibung, daß als erster Schritt der Teil einhundertvierundachtzig durch den Teil achthundertsiebenundsechzig mit dem Teil eintausendzweihundertsechzehn verbunden werden mußte. Mein Mann sagte: ”Wie soll ich wissen, welcher Teil der Teil einhundertvierundachtzig ist?” Da schauten wir jetzt dumm aus der Wäsche, denn durch die grüne Beschichtung waren sämtliche Ziffern auf den Einzelteilen unlesbar geworden. Gut, daß die Beschreibung bebildert war! Wir fanden den Teil einhundertvierundachtzig, der dem Teil dreihundertachtzehn zum Verwechseln ähnlich war, nach einigen Irrungen schließlich und verbanden ihn durch den Teil achthundertsiebenundsechzig mit dem Teil eintausendzweihundertsechzehn. Zwei weitere Schritte schafften wir noch, dann bereitete die Abenddämmerung unseren Aktivitäten ein Ende. Eigentlich hatten wir gedacht, wir würden den Aufbau an einem einzigen Wochenende bewerkstelligen, doch wie es jetzt aussah, würden wir wohl zwei Sommer lang damit beschäftigt sein. Am nächsten Morgen machten wir uns frischen Mutes wieder an die Arbeit. Ich klaubte die Teile nach den Abbildungen aus dem Haufen und übersetzte die elendslangen und kaum durchschaubaren Schachtelsätze aus der Beschreibung in eine für meinen Mann verständliche Sprache, und er schraubte und klopfte und bog nach meinen Anweisungen. Am Nachmittag stritten wir uns schon ein bißchen, er vermutete, daß ich nicht lesen könne, und ich vermutete, daß er meine Anleitungen nicht genau befolgte. Am Abend war der unerledigte Haufen noch immer wesentlich größer als der bereits stehende Teil des Gewächshauses. Vor dem Einschlafen schworen wir uns, uns durch dieses Gewächshaus keinesfalls aus der Ruhe bringen zu lassen, und streiten wollten wir deswegen unter keinen Umständen mehr. Dieser gute Vorsatz war bereits um elf Uhr am Sonntag über den Haufen geworfen. Wir fluchten beide wie die Maurer, und wenn wir uns auch nicht verbal bekämpften, so warfen wir einander doch zornige Blicke zu und verdrehten die Augen zum Himmel, wenn der jeweils andere wieder einmal etwas falsch gemacht hatte. Glücklicherweise kam am Nachmittag ein Gschaftelhuber aus unserem Bekanntenkreis (Karl G. aus der Geschichte vom Kitschkammerl), auf den wir unsere Wut lenken konnten. Er hatte selbst vor Jahren einmal ein Gewächshaus gebaut und erinnerte sich, daß das eine ganz einfache Arbeit gewesen war. Da schrien ihn mein Mann und ich an, dann solle er einmal eines der Dachfenster zusammenbauen, wenn das so einfach sei. Er bemühte sich drei Stunden lang, mußte dann aber aufgeben und bekennen, daß unser Gewächshaus wirklich eine komplizierte Angelegenheit war. An unseren verbissenen Gesichtern merkte er, daß er in der Schußlinie war und hier den Blitzableiter abgeben sollte, also verließ er uns mit guten Wünschen. An diesem Wochenende hatten wir nicht einmal die Hälfte des Aufbaus geschafft, und am Montag waren wir bei unserer Arbeit im Geschäft von eiskalter Höflichkeit zueinander. Mein Mann sagte: ”Darf ich dich daran erinnern, daß du noch die Rechnung für die Firma Pawlata schreiben wolltest?” und ich erwiderte: ”Herzlichen Dank für deine Erinnerung, ich bin gerade dabei.” Am liebsten hätten wir einander gesiezt, nur wegen der Mitarbeiterinnen rissen wir uns zusammen. Im Lauf der Woche wurde unser Verhältnis wieder besser, wir beschworen einander, das Gewächshaus nicht zwischen uns treten zu lassen, jetzt hätten wir über die Jahre schon so vieles durchgestanden, das wäre doch gelacht, daß so ein blödes Gewächshaus unseren weiteren gemeinsamen Lebensweg irritieren sollte. Am Freitag und am Samstag war alles wie gehabt. Ich versuchte, die Anleitung in verständliche Worte zu fassen, mein Mann behauptete, so könne es nicht sein, ich solle richtig lesen. Wir bemühten uns zwar, nicht ausfallend zu werden, und da wir miteinander in sehr knappen Worten redeten, ging die Arbeit auch relativ rasch vonstatten, aber jeder Außenstehende hätte bemerken können, daß in dieser Beziehung der Wurm war. Am Sonntag, ganz kurz vor der Fertigstellung, verlor mein Mann die Beherrschung und schrie mich an: ”Tu nicht so blöd, lies endlich einmal richtig, so kann das niemals stimmen!” Ich schrie zurück: ”Mach dir deinen Dreck alleine!” und ging um die Hausecke, wo er mich nicht mehr sehen konnte. Ich setzte mich in einen Liegestuhl am Schwimmbad und tat, als ob ich lesen würde. In Wirklichkeit überlegte ich, welchen Anwalt ich mir zur Scheidung nehmen würde, ob ”Unüberbrückbare Differenzen beim Bau eines Gewächshauses” als Scheidungsgrund vom Gericht überhaupt anerkannt würden, und was ich diesem hundsgemeinen Expartner von unserem Vermögen überlassen würde. Das Gewächshaus jedenfalls, das könnte er sich sonstwohin mitnehmen! Da kam er mit hängenden Schultern um die Ecke geschlichen und bat mich zerknirscht um Verzeihung für seine Unbeherrschtheit. Ich bat ihn auch um Verzeihung für meine bösen Worte (die Gedanken erwähnte ich nicht), wir umarmten einander mit tränennassen Augen. Dann kochte ich Kaffee, und wir entspannten uns in den Liegestühlen. Frisch verliebt schafften wir unter Gelächter und Scherzen den Rest des Gewächshausbaus. Und jetzt werke ich darin das ganze Jahr über im gehobenen englischen Landhausstil - mit Strohhut, blauer Schürze und Bestäubungspinsel.

/ 2003

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