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Meine Väter

Roman

Autoren: Barbara Bronnen
Verlag: Insel Verlag, Berlin, 2012
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Der Findling, der mein Vater ist, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.
Arnolt Bronnen, Schriftsteller. Geboren 1895. Gestorben 1959 in Ostberlin.
Selbstfindling. Ein erratischer Block, vom Alpenrand in die Ebene Berlins transportiert. Inbegriff der Vereinzelung.
Ein grauer Himmel scheint sich herabzusenken, als würden sich Himmel und Erde vermählen. Knapper Austausch mit dem Vater.
Neben ihm Christa Wolf. Am Ende ihrer literarischen Autobiographie stellte sie sich die Frage: Wie sind wir geworden, was wir sind? Eine Frage, die auch Arnolt Bronnen umtrieb. Gegenüber Günter Gaus, im ewigen
Interview mit meinem Vater verstrickt. Ich bin sicher, daß er Neues herausfindet. In der Nähe Weggefährten: Bertolt Brecht, Helene Weigel, John Heartfield, Wieland Herzfelde, Johannes R. Becher.
Arnolt gibt das Theater nicht auf, richtet sein blaufunkelndes Monokel auf mich und schüttelt den Kopf. Immer hat er schnell die Tür zugemacht, damit niemand einen Fuß dazwischenstellt und ihm das Geheimnis raubt. Er spielt nach wie vor mit verdeckten Karten, wenn ich nach seinem Vater frage.
Steinerne Stirn. Nichts, was ihn ins Wanken bringt.
Ach, gib's doch auf, Genosse.
Unheimliches Laubgeraschel, verräterisches Kreischen eines Eichelhähers. Eine Katze in der Dämmerung. Feuchtes Gras. Erdgeruch.

Kalte Füße.
Ich sage, daß ich mich nicht davon abbringen lasse, die Wahrheit über den Großvater und den Vaterschaftsprozeß herauszubekommen. Ich fühle, daß da etwas nicht stimmt. Daß der Trick mit der Selbstgeburt nichts anderes ist als Selbstbetrug.
Ich warte auf das ersehnte Zeichen.
Er schweigt. Ich drohe. Daß ich den Sarg des Großvaters öffnen werde. Daß Großvater auferstehen und den Mund auftun würde, über kakanische Familienabgründe hinweg.
Sie wendet sich ab.
Verläßt den Dorotheenstädtischen Friedhof. Hat sie wirklich erwartet, daß von Vaterseite etwas käme?
Es gibt immer weniger Berührungspunkte zwischen ihrem Vater und ihr.

Auszug aus "Meine Väter" von Barbara Bronnen. / 2012

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