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Sommer wie Winter

Autoren: Judith W. Taschler
Anmerkung: Debütroman
Verlag: Picus Verlag, Wien, 2011
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer

Ich bin gerade neunzehn geworden, am 24. Dezember. Ich hab´ so lange drauf gewartet, so lange!
Wenn sie mir auf die Nerven gegangen sind, meine Eltern, meine Geschwister, - überhaupt ist mir mein ganzes Leben oft auf die Nerven gegangen! -, dann hab´ ich mir gesagt: Halt durch! Wenn du achtzehn bist, bist du frei! Frei!! Dann kannst du machen, was du willst! Du kannst dein eigenes Leben führen!
Ich wollt´ im Frühling nach Innsbruck ziehen, dort eine Arbeit suchen und die Abendmatura machen. Ich hab´ schon angefangen ein Zimmer zu suchen. Natürlich hab´ ich selber gesucht!
Das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“, das kennen Sie doch, ich bin bis vor kurzem der Meinung gewesen, dass es stimmt! Ich hab´ mir gedacht, wenn ich erst mal von Sölden wegkomm´ und auf meinen eigenen Füßen steh´, dass ich alles erreichen kann, was ich mir vornehm´. Auf mein Leben hab´ ich mich so gefreut! Auf mein Leben …!
Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob das Sprichwort stimmt. Seit – seit dem Tag, ich mein´, seitdem das alles passiert ist und ich die Wahrheit kenn´, seither glaub´ ich nicht mehr dran. Ich kann nicht mehr essen und nicht mehr schlafen seither!
Ich hab´ Angst, dass das Sprichwort nicht stimmt! Jetzt auf einmal hab´ ich Angst, dass ich nicht alles erreichen kann, was ich mir vornehm´! Dass ich bin wie - Dass das Ganze wie ein Schatten über mein Leben hängen wird! Dass es mich immer verfolgen wird.
Wahrscheinlich ist es wirklich so, dass manche Menschen einfach immer auf der Schattseite stehen und davon nicht wegkommen, egal, wie sehr sie sich abstrampeln.
Das hat jemand zu mir gesagt, vor ein paar Jahren, im Winter, so ein alter Mann ist das gewesen, den hab´ ich einmal aufs Zimmer bringen müssen, weil er betrunken gewesen ist. Er hat gesagt: Es gibt Menschen, die bis zu ihrem Tod auf der Schattenseite des Lebens stehen und nie auf die Sonnenseite gelangen. Weil es ganz einfach Schicksal ist und der Wille alleine nichts zählt, hat er noch gesagt. So ein Trottel, hab´ ich mir damals gedacht. Jetzt denk´ ich mir, dass er Recht gehabt hat.

Textauszug aus dem Debütroman "Sommer wie Winter" von Judith W. Taschler / 2011

Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. B. und Manuela Winter (19 Jahre)

Ich scheiß auf die Mutter, ich scheiß auf sie! Sie hat mich angebrüllt im Krankenhaus als wär´ ich der Verbrecher und nicht - ! Sie kapiert nichts von dem, was eigentlich passiert ist!
So eine fette Krankenschwester hat sie dann aus dem Zimmer gebracht. Und jetzt redet sie nicht mehr mit mir. Sie gibt nur mir die Schuld, weil ich der Polizei alles erzählt hab´. Der Alex hat ja nichts erzählen können. Der ist ja auf der Intensivstation gelegen. Hat sich am Anfang an gar nichts erinnert.
Ich hab´s ja sagen müssen, oder nicht? Verdammte Scheiße, hätt´ ich vielleicht nichts sagen sollen??!! Ich hab´s für den Alex getan!
Ich brauch´ keine Therapie. Hauen Sie ab. Ich hab genug reden müssen die letzten Tag´ mit der Polizei.

Textauszug aus dem Debütroman "Sommer wie Winter" von Judith W. Taschler / 2011

Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer

Ich soll also ganz spontan ein Erlebnis aus meiner Kindheit erzählen, das mich beeindruckt hat und das mir lange in Erinnerung geblieben ist?
Die Sache mit dem Frosch hat mich so beeindruckt und auch lange nicht losgelassen. Ich hab ständig daran denken müssen, tagelang.
Acht oder neun bin ich gewesen, da hab ich angefangen, viel mit dem Georg rumzuhängen. Der Georg ist in die gleiche Klasse wie ich gegangen und hat mir imponiert, weil –, weil er einfach so – so lässig gewesen ist. Er hat sich nichts geschissen. Nicht einmal vor seinen Eltern hat der Angst gehabt, eher umgekehrt und deshalb haben sie ihn auch in Ruhe gelassen. Ich wollt´ mir was abschauen von ihm.
An dem einen Nachmittag, es ist, glaub´ ich, im Juni oder Juli gewesen, auf alle Fälle ist es ziemlich warm gewesen, hat er einen Frosch gefangen und ihn auf ein Brett genagelt. - Sie haben schon richtig verstanden. Er hat ihn auf ein Brett genagelt, so wie Jesus, vier Nägel in die beiden Hände und Füße. Ich weiß nicht, ob man bei einem Frosch Hände und Füße sagt, Pfoten sind es ja auch keine, aber Sie wissen schon, was ich meine. Zwei Nägel oben, zwei Nägel unten. Er hat ihn gekreuzigt.
Genauer? Also, wir haben am Bach gespielt, ich weiß nicht mehr, was, wahrscheinlich Staudamm bauen oder so. Auf einmal hat der Georg den Frosch gesehen und ihn gefangen. Ganz schnell ist das gegangen, mir wär er sicher ein paar Mal entwischt, vielleicht hätt´ ich ihn nicht mal fangen können, aber der Georg ist bei solchen Sachen immer so schnell gewesen. Mit dem Frosch in der Hand ist er dann zu ihm nach Haus gelaufen, ich neben ihm her. Im Holzschuppen drinnen hat er mir den Frosch gegeben und hat gesagt: Lass ihn ja nicht entwischen!
Ich halt´ so den Frosch in meinen zwei Händen und überleg mir noch, ob ich ihn nicht einfach auslassen soll. Ich hätt´ ja sagen können, dass er mir weggeflutscht ist. Mir war nicht so wohl in meiner Haut, ich hab dem Georg zugeschaut, wie er ein Brett, einen Hammer und Nägel zusammengesucht hat. Aber ich hab brav den Frosch gehalten, was anderes hätt´ ich mich nicht getraut. Der Georg hat in der Schule schon oft jemanden mit seiner Faust traktiert und viele haben sich vor ihm gefürchtet. Ja, stimmt, ich hab mich in dem Moment auch vor ihm gefürchtet.
Gleichzeitig bin ich total neugierig gewesen auf das, was jetzt kommt. Was hat er vor mit dem Frosch, hab ich mir gedacht. So eine aufgeregte Spannung hab´ ich gespürt. Auch bewundert hab´ ich den Georg, weil er sich so etwas traut und immer solche Einfälle hat. Mir wär´ so was nie eingefallen.
Dann hat er sich vor mir aufgepflanzt und hat gesagt: Komm, lass ihn uns kreuzigen! Das ist jetzt der grüne Jesus und er rettet die gesamte Froschwelt! Wie er das so gesagt hat, ist mir doch das Herz ein bisschen in die Hose gerutscht. Georg hat die tiefe Stimme unseres Pfarrers nachgemacht: Die Froschwelt ist durch und durch verdorben, sie braucht einen Erlöser!
Ich soll den Frosch auf das Brett drücken, hat er gesagt, und ich hab´s gemacht. Und dann hat er einen Nagel nach dem anderen in die Haxen vom Frosch geschlagen, zack, zack, ohne einmal daneben zu hauen. Der Georg ist so geschickt. Er macht jetzt eine Lehre bei einem Tischler.
Geekelt hat´s mich vor dem Brett mit dem Frosch drauf, mit den Nägeln darin. Seine Augen sind so hervorgequollen und seine Blasen neben dem Maul haben sich immer leicht aufgeblasen und sind sofort wieder zusammengesackt. Es hat so schrecklich ausgeschaut.
Und geekelt hat´s mich vor dem Georg, aber gleichzeitig hat mich sein Verhalten so – so fasziniert. Sein Gesichtsausdruck ist so komisch gewesen, ich konnt´ nicht wegschauen, ich hab´ die meiste Zeit ihn angestarrt, auch, weil ich nicht auf den Frosch schauen wollt´. Er hat wie hypnotisiert gewirkt, als wär´ ein Leuchten in seinem Gesicht.
Nachher ist er einfach aus dem Schuppen gegangen und hat das Brett mit dem Frosch drauf auf dem Boden liegen lassen. Ich hab´ in der Nacht gar nicht schlafen können, hab´ immer an den Frosch denken müssen und wie er dreingeschaut hat.
Später, ich glaub´, es ist ein oder zwei Jahr später gewesen, wollt´ ich auch einmal so was machen. Aus lauter Wut auf den Vater und auf die Mutter, aus Protest sozusagen! Ich wollt´ einen gekreuzigten Frosch in ihr Bett legen, dass sie sich so richtig erschrecken. Das hätt´ mir gefallen, so sauer bin ich auf sie gewesen. Und was anderes ist mir einfach nicht eingefallen. Nur ein gekreuzigter Frosch, mehr nicht. Ich bin bei solchen Sachen immer schlecht gewesen.
Aber ich hab´s nicht zusammengebracht. Ich hab einen Frosch gefangen, aber konnt´ dann keinen Nagel in ihn reinhauen, also hab´ ich ihn wieder freigelassen. Ich hab nur einen Regenwurm mit meinem Taschenmesser auseinandergeschnitten, ganz klein, und ihn der Mutter und dem Vater in die Gerstelsuppe getan. Eine Ewigkeit hab´ ich gebraucht, dass mir das eingefallen ist.
Aber geholfen hat mir das nicht. Mir ist schlecht geworden, wie ich ihnen beim Essen zugeschaut hab´ und besser hab´ ich mich auch nicht gefühlt.

Textauszug aus dem Debütroman "Sommer wie Winter" von Judith W. Taschler / 2011

Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. R. und Monika Winter (55 Jahre)

Ich kann nicht mehr, ich kann wirklich nicht mehr!!
Mir kommt vor, als hätt´ ich seitdem einen Albtraum und ich muss jeden Moment wieder aufwachen. Aber ich wach´ nicht auf! Für mich ist das alles so schrecklich, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Ich kann nicht verstehen, dass der Herrgott das für mich bereit gehalten hat!
Die ganzen Zeitungsfritzen ständig ums Haus herum! Und die Gendarmen, die alles auf den Kopf stellen! Aber sie werden nichts finden! Nichts! Wir sind alles rechtschaffene Leut´!
Wissen Sie, was das in einem kleinen Dorf bedeutet? Wissen Sie, wie mich die Leut´ anstarren? Es ist – das Ende ist das, ja, das Ende! Für die Familie, für den Betrieb! Ich halt´ die Schand´ nicht aus!
In der Beziehung ist es uns seit Langem gut gegangen, meinem Mann und mir, er ist zwar nicht viel daheim gewesen, immer nur drüben im Hotel, aber wir haben uns gut vertragen. Wir haben ja am Anfang unserer Ehe viel gestritten. Immer haben wir nur gerackert, mein Mann und ich, gerackert und gerackert! Für die Gäst´ und für die Familie!
Warum haben sie das getan? Wem nützt die Wahrheit jetzt noch was? Es ist ja schon lang´ verjährt, wenn es überhaupt stimmt!
Ich versteh´ das alles nicht! Ich kann nicht glauben, dass der Herrgott das für mich bereit gehalten hat!

Textauszug aus dem Debütroman "Sommer wie Winter" von Judith W. Taschler / 2011

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