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Flamenco

Autoren: Marlen Schachinger
Literaturnetz, 2004
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Literaturnetz

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Textproben:

Flamenco Donnerstags blies mich der Wind vom Kahlenberg herab. Auf dem Frachtenbahnhof blühen mir schon die Bäume. Wie die Waggons stehen sie seit Jahr und Tag. Ich wollte die Leopoldsgasse meiden, doch der Wind ließ es nicht zu. Hier gibt es den besten Salat der Stadt, geh ins Leopold, wenn du kannst, sagtest du. Folgsam wie ich bin, biege ich an der Ecke ab, geh den Erinnerungen aus dem Weg, zum Karmeliterplatz hin, die Buden geschlossen, die Stände entfernt, ein Tanzparkett!, Flamencoschritte kommen mir in den Sinn. Ruhe, Ruhe!, brüllt ein Männergesicht aus dem dritten Stock. Ich verneige mich vor deinem Haus. Eine Frau wirft mit Münzen nach mir, Zeit zu gehen. Auf der Marienbrücke bleibe ich. Ich frage mich ob Mariens Mantel dick genug für diese Jahreszeit, für sich, für alle. Madredeus! Diese Stadt raubt mir die Sinne, sagtest du. Sterne sind ihr aus dem Kranz gebrochen. Ich wühle in meinen Taschen. Was sich spießen lässt. Alles Andere dem Fluss. Eines Tages wird er mich mitnehmen. Nach Osten und weiter. Als ich dich im Café Berg traf, summtest du mir zur Begrüßung The only one who could ever reach me was the son of a preacherman ins Ohr. Meine Antwort, weder wäre ich Sohn noch eines Predigers, lachtest du zum Fenster hinaus. Wir tranken Tee, wie in good old England. Du trugst eine weiße Lilie im Haar, und ich bat den Kellner um die Vase. Tanzt du mir den Totentanz?, fragtest du mich. Mit Büchertaschen beladen kehre ich Stunden später zurück, die Tassen geleert, Biergläser dort, wo einst Porzellan, dahinter fremde Mienen. Die Welt ist ein Saustall, rufe ich ihnen zu. Sie scheinen mich nicht zu hören. In der Berggasse grüße ich Herrn Freud, wir haben uns lange nicht gesehen. Ich habe vieles zu erzählen. Er nickt bedächtig, seine Couch stehe in London, ich könne ihn gerne besuchen und es mir bequem machen. Ich sage ihm, ich war im Berg, ich habe Bücher, ich muss sie nach Hause begleiten, ohne mich finden sie den Weg niemals. Er ist bereits eingenickt. So schleiche ich mich fort, zum Café Schottenring hin, die Börse rechterhand verlassen, in den Untergrund. Ich durchquere die Stadt, gegen Windböen gestemmt, kehre dorthin zurück, woher ich morgens kam.

Ausschnictt aus WienWien. / 2003

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