Der Sohn einer Hure
Autoren: Dietmar Füssel
Verlag: Sisyphus,
Klagenfurt,
2013
DAS KUHTUM DER KUH
Kennen gelernt habe ich meine Geliebte bei einer Diskussion über das Kuhtum der Kuh, die unter der Leitung des zu Recht weitgehend unbekannten indischen Gurus Mohandas Ramaprashnan, des Erneuerers des Vaisesika-Systems, im Veranstaltungsraum einer Molkerei stattfand.
Laut Ramaprashnan ist kein Lebewesen, nicht einmal eine Mücke, frei von Kuhtum. Die reinste Verkörperung des Kuhtums aber fände man in der Kuh.
Ich hatte mich vor geraumer Zeit aus purer Langeweile intensiv mit dieser Lehre beschäftigt und war zu dem Schluss gekommen, dass sie ausgesprochen idiotisch war. Deshalb ging ich hin, um dem Guru mal gründlich die Meinung reinzusagen.
Dafür, dass es um ein dermaßen komplexes Thema ging, waren überraschend viele Besucher gekommen, nämlich drei:
Sie, die ich zwar schon vom Sehen her kannte, mit der ich bisher aber noch kein einziges Wort gewechselt hatte, dann noch ein total besoffener Althippie mit einem deprimierend schütteren Irokesenschnitt ? und ich.
Wie ich später erfuhr, war diese Diskussion eigentlich nur durch eine Eigenmächtigkeit des gerade erst neu gewählten Obmanns des veranstaltenden esoterischen Zirkels zustande gekommen, der vor vielen Jahren einige Monate in Ramaprashnans Ashram verbracht und ihn nun aus rein nostalgischen Gründen eingeladen hatte, ohne die übrigen Vorstandsmitglieder auch nur davon zu informieren, woraufhin er bei der nächsten Sitzung gleich wieder abgesetzt worden war.
Weil sich Ramaprashnan zu diesem Zeitpunkt aber bereits in Österreich befand und auch die Plakate schon gedruckt waren, konnte man die Veranstaltung nicht mehr einfach absagen, sodass sie tatsächlich stattfand.
Freilich fielen die Begrüßungsworte der neuen Obfrau ausgesprochen frostig aus:
"Ich begrüße Sie herzlich zu dieser Diskussion mit Guru Ramaprashnan über das Kuhtum der Kuh", sagte sie. "Leider kann ich selbst nicht daran teilnehmen, weil in einer halben Stunde unter meiner Leitung drüben im 'Hexenhaus' ein veganes Channeling mit Erzengeln stattfindet. Aber vielleicht..." - sie wandte sich an den besoffenen Althippie, der offenbar mit dem kürzlich abgesetzten Obmann identisch war - "... vielleicht möchtest du ja etwas dazu sagen? Schließlich war die Sache ja deine Idee."
"Nein. Eigentlich nicht", lallte er. "Ich glaub, ich hab ein bisschen zu viel getrunken."
"Ein bisschen ist gut", bemerkte sie spöttisch. "Ach ja, eines noch, ehe ich es vergesse: Ich muss dir leider mitteilen, dass der Vorstand einstimmig beschlossen hat, dich mit sofortiger Wirkung aus dem Zirkel auszuschließen, wegen vereinsschädigendem Verhalten."
"Na und?", brummte er. "Ich wollte sowieso austreten, aus diesem Scheißverein..."
"Umso besser. Dann darf ich mich jetzt also verabschieden. Schönen Abend noch", sagte sie mit dem Emotionspotential einer Wasserleiche und verließ den Raum.
Ramaprashnan saß auf dem Podium und lächelte auf uns herab. Mit einer einladenden Handbewegung forderte er uns auf, mit der Diskussion zu beginnen.
Ich wollte natürlich sofort das Wort ergreifen, doch sie kam mir zuvor:
"Guru, du bist ein seniler alter Trottel und deine Theorie ist ein hirnverbrannter Blödsinn. Geh brausen", sagte sie.
Begeistert applaudierte ich ihr. Wie schön ist es, einen Menschen zu treffen, der einem aus der Seele spricht!
Der Guru lächelte, doch nicht etwa deshalb, weil er so weise war, dass derartige Angriffe ihn nicht mehr berührten, sondern weil er kein Wort Deutsch verstand.
Die einzige Sprache, die er beherrschte, war nämlich ein seit Jahrhunderten ausgestorbener Hindi-Dialekt, den ihm sein Ziehvater, ein exzentrischer Linguist, aus purer Bosheit anstelle einer lebenden Sprache beigebracht hatte, weil er den außerehelichen Sohn seiner Frau hasste.
/ 2013