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Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten

Die Sprachbilderwelt des Nikolaus Harnoncourt

Autoren: Sabine M. Gruber
Verlag: Residenz Verlag, Salzburg, 2002
Gattung: anderes | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

IV. Das Innenleben der Sprache

Sprache scheint von der Welt des Sehens beherrscht, aus ihr und für sie geschaffen zu sein. Es fällt uns schwer zu begreifen, wie ein Sprachgebilde überhaupt in die unsichtbare Welt der Töne eindringen kann; es es überhaupt möglich ist, mit Hilfe von Sprache musikalische Inhallte zu vermitteln. Muss Sprache in der Welt der Töne nicht immer eine Krücke bleiben? Bleibt die verbale Verständigung in der Welt der musik nicht immer mühevolles, unbefriedigendes Metaphorieren und letztlich eine Illusion? Dies anzunehmen hieße das Wesen der Sprache zu verkennen. Oberflächlich betrachtet, seinen Begriffe tatsächlich nur einer ganz bestimmten Sinneswelt anzugehören, und es ist, als ob wir sie – gnadenhalber und vorübergehend – einer anderen zur Verfügung stellen, doch der Schein trügt: unterirdisch ist alles Sinnliche in uns verbunden, in weit verzweigten Gängen und fließenden Gewässern. Srpach ist Ausdruck dieser Verbindungen, auch wenn das Wissen und das Bewusstsein darüber immer mehr verloren geht. Betrachten wir nur einmal „betrachten“ – es geht auf ein Bewegungswort zurück: trahere, ziehen; „hell“ bewegt sich wesensmäßig seit jeher in der Welt des Schalls, im Dunkel verschwinden nicht nur Gestalten, sondern auch undeutliche Geräusche; „leise“ bezeichnet ursprünglich eine sanfte Bewegung, „still“ heißt bewegungs- wie auch lautlos, während „piano“ auf ein Wort zurückgeht, das glatt und ebenmäßig hieß. In den Tiefen unseres gemeinsamen Unbewussten ist alles, was in einem Wort mitschwingt, für alle Zeiten aufgehoben: sein lebendiges Wesen, das von seiner Geschichte geprägt ist. Der Absolutismus des Visuellen und Abstrakten ist eine Erscheinung unserer Zeit, die in unserer sprachlichen Wahrnehmung Spuren hinterlassen hat. Ihrem Wesen nach ist Sprache jedoch nicht nur sinnlich, sondern auch ein für alle Sinne durchlässiges System, so wie auch unserer Sinne miteinander in Verbindung stehen und Sinneseindrücke in unserem Inneren nicht klar voneinander getrennt entstehen. „Das muss klingen wie Vanillesauce.“ Was wir vielleicht als Bild empfinden, ist nur im übertragenen Sinn ein Bild; es ist ein Bild, das wir nicht nur sehen; ein Bild, das eine Bewegung mit einschließt, einen Geruch, einen Geschmack, und das uns zugleich im wahrsten Sinn des Wortes berührt.

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